Das Corona-Virus und die Künstliche Intelligenz

Wie Covid-19 den Einsatz Künstlicher Intelligenz vorantreibt

Hatten die Menschen im 19. Jahrhundert noch eine Lebenserwartung von durchschnittlich nur 36 Jah­ren, erreichen heute die meisten von uns ein hohes Alter. Dieser Fortschritt dürfte sich mit dem Erstarken Künstlicher Intelligenz (KI) sogar noch beschleunigen. Dabei könnte sich gerade die Coronavirus-Pandemie als guter Testlauf für KI herausstellen: Zwar ist es noch nicht möglich, Covid-19 direkt zu bekämpfen, das neue Virus hat jedoch deutlich gemacht, wie KI die moderne Medizin künftig verändern kann.

 

Wie kann KI helfen?

Heutzutage werden in der Medizin enorme Datenmen­gen gesammelt. Für den Menschen unmöglich kann KI diese Datenmassen nicht nur zügig sichten, sondern – Stichwort Maschinelles Lernen – auch in rasanter Geschwindigkeit Lösungen daraus ableiten. So kann KI im Fall Covid-19 etwa ermitteln, welche antiviralen Medikamente an ein spezifisches Protein in der Außen­hülle eines Virus andocken und es damit blockieren. Diese Proteine ermöglichen es den Viren, in Zellen des menschlichen Körpers einzudringen und sich zu vermehren. KI kann auch mit Hilfe genetischer Daten virtuell zehntausende neuer Molekülverbindungen er­stellen, die für eine Behandlung von Covid-19 potenziell in Frage kommen. Auch Medikamente gegen andere, nicht verwandte Leiden wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis können daraufhin untersucht werden, ob sie zur Behandlung eingesetzt werden können. Und KI kann die klinische Entwicklung grundlegend reformie­ren. Ihr Einsatz kann klinische Tests beschleunigen, sie sicherer und deutlich billiger machen. All dies ist potenziell von großer Bedeutung, denn wenn wir schon heute über die entsprechende Technologie verfügen würden, hätte sie dazu beitragen können, die Ausbrei­tung von Covid-19 zu verhindern. Noch sind wir jedoch nicht ganz so weit. Aber bereits jetzt wird KI auf neue Art und Weise eingesetzt, um das Virus zu entdecken und zu bekämpfen.

 

Entdeckung

Am 30. Dezember 2019 entdeckte das Start-up-Unter­nehmen BlueDot aus Toronto (dieses und alle im Fol­genden erwähnten Unternehmen stellen keine Empfeh­lung oder Aufforderung zum Erwerb oder Veräußerung einzelner Wertpapiere dar) kurz nach Mitternacht eine Häufung ungewöhnlicher Lungenentzündungen rund um einen Fleischmarkt in Wuhan. Nur einige Stunden später wurden die ersten Fälle der neuartigen Coro­navirus-Erkrankungen diagnostiziert. Noch am selben Tag informierte BlueDot seine Kunden in einem Bericht über seine Erkenntnisse. Das Unternehmen analy­siert mit Hilfe KI-gestützter Algorithmen Mitteilungen öffentlicher Gesundheitsorganisationen, Meldungen

zur Gesundheit des Viehbestands und demografische Daten. Wohlgemerkt: BlueDot hat Covid-19 nicht ent­deckt. Die Angaben in seinem Bericht ermöglichten es jedoch menschlichen Analysten, die Bedrohung durch die neue Krankheit zu interpretieren und zu erkennen. Dessen ungeachtet zeigt der Fall, dass KI künftig dabei helfen kann, ein Virus frühzeitig einzudämmen, bevor es sich ausbreitet.

 

Diagnose

Auch in der Diagnose kann KI hilfreich sein. Derzeit setzt ein Ärzteteam im Krankenhaus von Zhongnan GPU-gestützte KI-Software ein, um visuelle Anzei­chen für das Virus zu erkennen. Die entsprechenden GPU-Prozessoren können mehrere Rechenvorgänge gleichzeitig ausführen und werden normalerweise für hochwertige Videospiele verwendet. Aufgrund dieses Rechentempos sind sie auch für KI-Anwendungen be­liebt: GPUs können die für KI erforderlichen parallelen Rechenvorgänge ausführen. Das Unternehmen Infervi­sion aus Peking hat die Software entwickelt, mit deren Hilfe die Ärzte typische Symptome einer Virusinfektion erkennen. Sie suchen nach Anzeichen für eine Lungen­entzündung. Mit Hilfe von GPUs des Typs NVIDIA V100 analysieren sie dafür Tausende von CT-Aufnahmen. Vor dem Covid-19-Ausbruch wurde diese Technologie für die Diagnose von Lungenkrebs verwendet. Wenn das Virus damit erfolgreich diagnostiziert werden kann, dürfte sich die Behandlung anderer Atemwegserkran­kungen künftig grundlegend verändern.

 

Suche nach einem Impfstoff

Bei der Entwicklung von Impfstoffen spielt die Genom­sequenzierung eine wichtige Rolle. Damit lassen sich Genmuster erkennen, die auf die Virulenz einer Krank­heit schließen lassen, und genetische Faktoren, die für Immunität sorgen oder eine erfolgreiche Impfantwort sicherstellen. Die Kosten einer Genomsequenzierung sind im vergangenen Jahrzehnt dank des technischen Fortschritts deutlich von 10 Millionen US-Dollar auf lediglich 1.000 US-Dollar gesunken. Auch das Tempo hat sich deutlich erhöht. Zahlreiche Biotechnologie-und Pharmaunternehmen investieren hohe Beträge in die Weiterentwicklung der Technologie. Interessanter­weise sind seit dem Ausbruch von Covid-19 auch große Technologiekonzerne an diesem Markt aktiv und könn­ten für weitere positive Entwicklungssprünge sorgen. Die großen chinesischen Technologiekonzerne Baidu und Alibaba haben zum Beispiel ihre Instrumente und Anwendungen bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Ausbruchs zur Bekämpfung des Virus zur Verfügung gestellt. Alibaba hat der Wissenschaft Gratiszugang zu seiner Genomsequenzierungs-KI angeboten. Baidu hat nachgezogen und bietet seine LinearFold-Algorithmen zur Unterstützung bei der Gensequenzierung an. Diese Technologien haben sich bereits bewährt. Die Zeit für eine Analyse der RNA-Sekundärstruktur des Virus konnte damit von 55 Minuten auf lediglich 27 Sekun­den verkürzt werden.

 

KI könnte sich als positive disruptive Kraft im Ge­sundheitswesen erweisen

Durch Covid-19 könnte sich der Einsatz von KI in der modernen Medizin beschleunigen. KI dürfte sich künf­tig in zahlreichen weiteren Anwendungen bewähren. Derzeit werden Medikamente für den Massenmarkt entwickelt, was dazu führt, dass einige Patienten mit ernsthaften Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Durch eine personalisierte Medizin könnten solche Neben­wirkungen möglicherweise vermieden werden, und es wäre möglich, die Behandlung zielgerichteter auf die genetische Ausstattung des einzelnen Patienten abzustimmen.

Dies wäre in der Vergangenheit viel zu kostspielig gewesen. Da KI die Gensequenzierung jedoch deutlich erschwinglicher gemacht hat, rückt diese Möglichkeit in greifbarere Nähe. Gentherapien wären ein weiterer möglicher Anwendungsbereich. Damit ließen sich etwa Leiden wie Krebs behandeln. Bei Gentherapien wird mit Hilfe von viralen Vektoren neues genetisches Material in die Körperzellen eines Patienten eingeschleust, um so ein Leiden an der Wurzel zu bekämpfen. KI wird be­reits zur Beschleunigung und Verbilligung von Gense­quenzierungen eingesetzt, was potenziell neue Behand­lungsmöglichkeiten durch Gentherapie eröffnet. Auch Gene Editing könnte verbessert werden, und eventuell ließen sich Algorithmen entwickeln, die komplexere Krankheiten besser erfassen und so eine Gentherapie möglich machen. Langfristig könnten personalisierte Medizin und Gentherapie dank KI zum Standard in der Medizin werden. Das Gesundheitswesen würde sich dadurch grundlegend verändern.

Covid-19 wird möglicherweise dazu führen, dass wir über KI und Medizin in Zukunft ganz anders denken. KI kann potenziell jedoch alle Sektoren grundlegend verändern und die Wachstumsraten durch höhere Pro­duktivität, Qualität, Effizienz und Zeitersparnis steigern. Die rasche Entwicklung der KI kann sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt und die Wirtschaft sehr vorteilhaft sein.

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